Frage:
Wir sind eine kleinere Genossenschaft. Mit unserem bisherigen
Prüfungsverband gab es immer wieder Meinungs-verschiedenheiten. Diese betrafen
insbesondere die Art der Betreuung und die recht hohen Kosten für die Prüfung.
Wir haben deshalb von unserem Recht Gebrauch gemacht, uns einem weiteren
Prüfungsverband anzuschließen, um zu „testen“, ob deren Betreuung unseren
Vorstellungen besser entspricht.
Um einen Vergleich zu haben, haben wir den „neuen“ Prüfungsverband mit
der Durchführung der nächsten Prüfung beauftragt.
Jetzt kommt jedoch der „alte“ Prüfungsverband und verlangt von uns, dass
wir uns auch zusätzlich von ihm prüfen lassen sollen. Das heißt: Für die Jahre,
für die bereits eine Prüfung vom „neuen“ Verband durchgeführt wurde, soll
nochmals geprüft werden.
Der „alte“ Verband begründet das damit, dass er die „älteren“ Rechte
hätten.
Er klagt inzwischen gegen uns auf Durchführung einer weiteren Prüfung!
Können wir zu einer solchen „Doppelprüfung“ verurteilt werden?
Damit wird unser Recht auf freie Wahl des Prüfungsverbandes total
eingeschränkt.
Macht die freie Verbandswahl überhaupt einen Sinn, wenn wir erst den
„neuen“ Verband mit der Prüfung beauftragen können, wenn zu Kündigungsfrist zum
„alten“ Verband abgelaufen ist?
Wir wollen doch gerade durch die Doppelmitgliedschaft eine
Vergleichsmöglichkeit schaffen, ob ein Wechsel des Verbandes für uns Sinn
macht. Das können wir aber nur „testen‘“, wenn wir den „neuen“ Verband mit der
Prüfung beauftragen, ohne bereits aus dem „alten“ Verband ausgeschieden zu
sein. …
GK-Antwort:
Lassen Sie uns aufzeigen, wie deutlich die
Meinungen zu diesem Thema auseinander gehen.
Das Landgericht Gera sagt dazu kürzlich (AZ O
1512/13) ganz klar und eindeutig:
Es ist „Sache
der Genossenschaft, die in freier Entscheidung die Mitgliedschaft in zwei oder
mehreren Prüfungsverbänden begründen konnte, sodann auch frei zu entscheiden, durch
welchen Prüfungsverband die Pflichtprüfung des § 53 GenG vorgenommen werden soll‘“.
Und zur Duldung eines Anspruches auf Prüfung des
„älteren“ Verbandes, obgleich bereits die Prüfung durch den „neuen“ Verband
erfolgt ist, sagt das LG: Die Genossenschaft muss selbst dann nicht die Prüfung durch den „älteren“ Verband dulden,
wenn der „neue“ Verband noch nicht zu Prüfung durch die Genossenschaft
beauftragt wurde (aber wohl beauftragt wird).
Das Thüringer OLG (7 U 344/14) relativierte jedoch
inzwischen diese Entscheidung recht erheblich und schränkte das Wahlrecht von
Genossenschaften, mehreren Prüfungsverbänden zeitgleich anzugehören und zwischen den
Leistungsangeboten frei zu wählen, fast gänzlich ein.
Schauen wir uns zunächst nur den Leitsatz dieser
Entscheidung an, wird diese gravierende Einschränkung
des Wahlrechtes einer Genossenschaft kaum deutlich. Wer die
Gerichtsentscheidung jedoch näher analysiert und deren Inhalte mit dem Leitsatz
vergleicht, könnte fast meinen, dass beide nicht den gleichen Tatbestand
betreffen …
Zunächst der Leitsatz des OLG:
„Ist eine Genossenschaft Mitglied in mehreren
Prüfungsverbänden, so steht ihr grundsätzlich
ein Wahlrecht hinsichtlich des, die Pflichtprüfung nach § 53 Satz.2 GenG
ausführenden, Prüfungsverbands zu. Der Prüfwechsel ist jedoch gegenüber dem
bisherigen Prüfungsverband eindeutig sowie innerhalb einer angemessenen Frist
zu erklären.“
Wer nur den Leitsatz liest wird sagen, die Freiheit
von Genossenschaften, zur Wahl eines Prüfungsverbandes wird gestärkt. Viel
anders sagt dies das
LG Gera auch nicht.
Dennoch wird durch die Entscheidung des OLG
Thüringen nicht nur die Entscheidung des LG Gera aufgehoben, sondern die freie
Wahl von Prüfungsverbänden für Genossenschaften wird tendenziell „ausgehebelt“.
Zu dieser „Einsicht“ kommt das OLG über den Umweg des
Vereinsrechts.
Der kritische Leser könnte jetzt fragen:
Wird da das Vereinsrecht etwa über die Grundrechte
gestellt?
Schauen wir uns an, wie das OLG argumentiert.
Von der Genossenschaft wird eine besondere vereinsrechtliche
Rücksichtnahme- und Treuepflicht zu dem Verband eingefordert, dem er bereits
angehörte.
Das heißt verkürzt gesagt: Deren Satzung zu
beachten.
Und um welche „Pflichten“ könnte es genauer gehen,
an die sich die Genossenschaft halten soll?
Satzungen der Prüfungsverbände nennen hierzu
insbesondere die Pflicht, sich „prüfen zu lassen“.
Das OLG sagt jedoch zugleich, dass sich eine
Genossenschaft mehreren Prüfungsverbänden anschließen kann. Zugleich weiß aber
das OLG auch, dass jede Satzung eines Prüfungsverbandes beinhaltet, dass ein
Mitglied damit – satzungsmäßig – bei jedem Prüfungsverband dem es beitritt,
zugleich die Pflicht hat, sich auch von diesem „prüfen zu lassen“.
Das würde bedeuten, dass bei zwei Mitgliedschaften
in Prüfungsverbänden auch zweimal die Pflicht bestünde, sich „prüfen zu lassen“.
Damit würde die – unbestrittene - Wahlfreiheit,
sich mehreren Prüfungsverbänden anschließen zu können, jedoch nur eine „Pflichtprüfung“
zu benötigen, scheinbar zu einem Problem.
Dieser „Zwickmühle“ versucht das OLG dadurch zu
entgehen, dass es die „Figur“ der „älteren Rechte“ kreiert.
Eine solche „Kunstfigur“ kennet jedoch das
Vereinsrecht nicht.
Machen wir es plastisch. Wer sich entschließt,
mehreren „Tanzvereinen“ anzugehören, kann wohl kaum dazu gezwungen werden,
ausschließlich bei dem Verein zu tanzen, dem es zuerst angehörte.
Nun mag man einwenden, dass auch kein Tanzverein
eine Pflicht zum „Tanzen“ der Mitglieder in seiner Satzung hat und wenn es sie
hätte, wäre sie vermutlich kaum „durchzusetzen“.
Es gibt viele Pflichten, die ein Mitglied in einem
Verein haben könnte, wie z.B. Beiträge zu zahlen oder den Verein nicht zu
schädigen, aber eine „Pflicht“ zur Abnahme
einer konkreten Leistung, das wäre sicherlich – gelinde gesagt – kaum grundrechtskonform,
egal wie „strikt“ das eine Satzung einfordern würde.
Das OLG durchbricht jedoch eine solche Sichtweise
und meint, dass dies bei Prüfungsverbänden durchaus anders sein könnte, weil sie
eine gesetzlich bestehende „Pflicht zur Prüfung“ einer Genossenschaft zu
gewährleisten hätten und weil dazu die Prüfungsverbände Kontinuität und
Berechenbarkeit bei der Leistungsabnahme benötigten.
Und das sei nur für Prüfungsverbände zu schaffen,
wenn sie sicher sein könnten, dass sie auch während einer Kündigungsfrist ihre
Mitglieder noch zur Leistungsabnahme gesichert „verpflichten“ könnten …
Das OLG „opfert“ für diese Sichtweise faktisch die
Aufhebung der Wahlfreiheit für Genossenschaften, sich zugleich – sinnvoll –
mehreren Prüfungsverbänden anschließen zu können.
Ein scheinbar „organisationstechnisches Defizit“
von Prüfungsverbänden, mit Wettbewerbssituationen klarzukommen, wird
hingenommen, ohne zu fragen, ob dies wirklich bestehen muss oder vielleicht nur
„hausgemacht“ ist.
Ohne solches näher zu beurteilen, macht sich das OLG
die Behauptung eines Prüfungsverbandes zu eigen, dass dieser für seine
Leistungsangebote bestimmte Mitgliederzwänge benötige.
Außerdem lässt das OLG ungeprüft, ob sich
möglicherweise manifeste Anhaltspunkte für eine Genossenschaft ergeben könnten,
vom einem Leistungsangebot (Pflichtprüfung) eines der Prüfungsverbände, der sie
angehört, vorübergehend Abstand zu nehmen.
Gänzlich unverständlich bleibt die Entscheidung des
OLG dann, wenn es gar sozusagen einer Genossenschaft „verbietet“, dem „älteren“
Prüfungsverband das Prüfungsrecht zu entziehen, wenn die vereinsrechtliche
Kündigungsfrist – oftmals 24 Monate - noch nicht abgelaufen ist.
Abgesehen von „gravierenden
Meinungsverschiedenheiten“ kann es durchaus auch andere – gut nachvollziehbare –
Gründe geben, weshalb sich eine Genossenschaft entschließen könnte, einen
anderen Prüfungsverband mit der Prüfung zu betrauen. Nehmen wir z.B. an, dass
sie ihren Förderzweck verändert hat und die Genossenschaft der Auffassung ist, sich
deshalb von einem Prüfungsverband betreuen und prüfen zu lassen, der für sie „stimmiger“
ist.
Hierzu schematisch zu urteilen, dass die Leistungen
aller Prüfungsverbände deshalb gleich sein müssten, weil sie alle die
Anerkennung als Prüfungsverbände hätten, verkennt völlig die Bedeutung, dass auch
Genossenschaften einem immer schnelleren „Marktwandel“ unterworfen sind und
deshalb spezialisierte Leistungsangebote nachfragen müssen.
Das OLG ignoriert auch eine andere Entwicklung in
den meisten Prüfungsverbänden: Deren Existenzfähigkeit ist längst nicht nur auf
das Thema „Pflichtprüfung“ ausgerichtet oder davon abhängig.
Werfen wir dazu einen Blick in die Satzungen von
Prüfungsverbänden.
Sie haben geregelt, dass nicht nur Mitglieder
aufgenommen werden können, die (prüfungspflichtige) Genossenschaften sind,
sondern auch solche Mitglieder, die einer gesetzlichen Pflichtprüfung überhaupt
nicht unterliegen.
Zulässig dürfte es sogar sein, dass
Prüfungsverbände ihre Leistungen auch für eine Anzahl von Mitgliedern anbieten,
die nicht die Rechtsform einer Genossenschaft haben. So könnten
Prüfungsverbände auch Unternehmen in der Rechtsform einer GmbH aufnehmen,
sofern die Genossenschaften die Mehrzahl der Mitglieder ausmachen. Prüfungsleistungen
könnten also auch durchaus hierfür erbracht werden.
Wir sehen daran, dass die Prüfungsverbände auf ein
Privileg „ältere Rechte“ kaum angewiesen sind, wie diese es vortragen.
Sie haben offensichtlich längst selbst „Vorsorge“
getroffen, um mehr Wettbewerb aushalten zu können.
Wenn der Gesetzgeber eine Notwendigkeit zum „Schutz“
von Prüfungsverbänden gesehen hätte, wäre zu fragen, warum er es dann nicht
selbst entsprechend regelt hat? Die Novellierung des Genossenschaftsgesetzes
von 2006 wäre dazu eigentlich ideal gewesen.
Im Verhältnis zu dem, wie der „Markt“ der Prüfungsverbände
sich in den letzten Jahren entwickelt hat, konstatieren wir heute mehr Wettbewerb
zwischen Prüfungsverbänden, denn es gibt inzwischen erheblich mehr
Prüfungsverbände – bezogen auf die Anzahl der Genossenschaften – als früher …
Die Prüfungsverbände sind also seit Jahren
aufgefordert, sich auf diese Entwicklung einzustellen. Und das ist ihnen
durchaus gut gelungen, sodass sie eines „Sonderschutzes“, wie ihn das OLG sieht
ganz offensichtlich nicht bedürfen.
Und ein weiteres scheint das OLG ebenfalls
auszublenden.
Seit einiger Zeit gibt es gesetzliche Überlegungen,
das Genossenschaftswesen weiter zu reformieren. Der Referentenentwurf eines
„Gesetzes zur Einführung der Kooperationsgesellschaft und zum weiteren
Bürokratieabbau bei Genossenschaften“ sieht u.a. vor, dass kleinere
Genossenschaften (KoopG) unter einem Umsatzerlös von 500 TEU und einem
Jahresüberschuss von nicht mehr als 50 TEU gänzlich von der Pflichtprüfung
befreit werden sollen.
Die sich für das „Pflichtprüfungswesen“ daraus
ergebenden Folgen dürften wesentlich gravierender sein, wie sie aus einer „Binnenbewegung“
von genossenschaftlichen Pflichtprüfungen aufgrund Wahlfreiheit von
Genossenschaften sich wirklich ergeben.
Das OLG macht sich – unbelegte - Behauptungen eines
Prüfungsverbandes, der offensichtlich nicht mit ganz normalen Wettbewerbsentwicklungen
zu Recht kommt, zu eigen, um daraus zu schließen,
dass quasi zum Schutze solcher „Unbeholfenheit“, die Wahlfreiheit von Genossenschaften – bei der
Vergabe des „Pflichtprüfungs-Mandates“ einzuschränken sei.
Dass damit das OLG einer positiven
genossenschaftlichen Gesamtentwicklung eigentlich überhaupt keinen Gefallen
tut, ist ihm sicherlich nicht bewusst.
Ein Blick in das europäische Umland, wie z.B. nach
Italien, Spanien, Frankreich, Tschechien und vielen anderen Staaten zeigt, wie
ein modernes Genossenschaftswesen floriert und sich exponentiell besser als in
Deutschland entwickelt.
Und das OLG dürfte überrascht sein:
Dort kommt man komplett ohne Prüfungspflicht und sogar ohne Prüfungsverbände aus …
Dennoch gibt es dort starke Genossenschaftsverbände
und werden von denen hochqualifizierte Leistung – auch in Sachen Prüfungen –
angeboten!